Evaluationsergebnisse umsetzen

Vor zwei Jahren hat das Berlin Institut für Partizipation die Leitlinien für mitgestaltende Bürgerbeteiligung der Stadt Heidelberg evaluiert. Im Gespräch mit Fabian Eisenbarth, Leiter der Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung, und Nóra Regös, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung fragen wir nach, welche Maßnahmen umgesetzt wurden, wie die Evaluation aus ihrer Sicht wahrgenommen wurde und wo das Verfahren nachgeschärft werden kann.

Wie haben Sie als Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung das Evaluationsverfahren wahrgenommen?

Nóra Regös: Erstmal herzlichen Dank für die Durchführung der externen Evaluation. Ich glaube, die Evaluation hat hier in Heidelberg sehr viel bewegt. In Heidelberg ist die externe Sicht in einem größeren Evaluationsverfahren mit insgesamt sieben Bausteinen (u. a. Heidelberg Studie, Evaluationsfragebögen von Veranstaltungen) eingebaut, die wir in mehreren Sitzungen mit unserem Arbeitskreis Bürgerbeteiligung reflektiert haben. Die externe Sicht auf die Beteiligungsqualität in Heidelberg hat uns in unserem Entwicklungsprozess ein großes Stück weitergebracht. Es war sehr wichtig von den Evaluationsergebnissen ausgehend in den Sitzungen des Arbeitskreises zu reflektieren, wo wir stehen und wo wir hinwollen.

Fabian Eisenbarth: Da kann ich meiner Kollegin nur zustimmen. Die drei Indikatoren-Sets zu Strukturen und Prozessen der Bürgerbeteiligung sowie ihrer Relevanz haben eine ganz neue Perspektive auf die Heidelberger Beteiligung ermöglicht. Insbesondere der Blick auf den Output von Beteiligungsverfahren war für uns sehr wichtig.

Der Evaluationsprozess war eine Bereicherung für uns als Team. Das ausführliche Auftaktgespräch zu Beginn sowie die Arbeitskreise und Reflexionsrunden, die nötig waren, um Ihre Evaluationsfragen adäquat beantworten zu können, waren zwar im Rahmen eines insgesamt schlanken Prozesses punktuell sehr zeitintensiv. Dieser Zeitaufwand hat sich aber gelohnt. Die aussagekräftigen Ergebnisse und die konkreten Handlungsempfehlungen waren ein großer Gewinn für die Weiterentwicklung der Bürgerbeteiligung in Heidelberg. Insbesondere für den Austausch mit der Politik sowie der Verwaltungsspitze bieten die Ergebnisse einen hervorragenden Ausgangspunkt.

Welche der Empfehlungen aus der Evaluation haben Sie bereits umgesetzt?

Fabian Eisenbarth: Ich möchte zwei Aspekte hervorheben: Zum einen hat die Evaluation uns geholfen, uns im Team sowohl mit Detailfragen als auch mit unserer strategischen Ausrichtung auseinanderzusetzen. Dabei haben wir uns intensiv mit den Herausforderungen der Heidelberger Beteiligungskultur beschäftigt, wie etwa der zunehmenden politischen Instrumentalisierung von Beteiligung durch einzelne Stakeholder. Wir haben klären können, was wir aus der Evaluation umsetzen wollen und was nicht – zum Beispiel war das oft diskutierte Interventionsrecht für uns nicht realisierbar und vorstellbar, da es nicht zu unserer Rolle und unserem Selbstverständnis in der Stadtverwaltung passt. Dieser Prozess hat unser Bewusstsein geschärft, unsere Stärken und Schwächen zu erkennen und unsere Beratungsfunktion klarer zu definieren.

Zum anderen war die Weiterentwicklung des sogenannten „Do or Explain“-Modells ein zentraler Punkt. Im Evaluationsbericht ging es darum, Ergebnisse entweder umzusetzen oder zu erklären, warum sie nicht realisiert werden können. Wir haben dieses Konzept im Nachgang auf drei Phasen erweitert: Zunächst eine Rückkopplung während des Beteiligungsprozesses, in der wir transparent mit Hinweisen und Ideen aus der Bevölkerung umgehen. Dann die Übersetzung der Beteiligungsergebnisse in die politischen Entscheidungsprozesse, um klare Empfehlungen für den Gemeinderat zu formulieren sowie die dann getroffenen politischen Entscheidungen auch wieder in die Öffentlichkeit rückzukoppeln. Und schließlich die Umsetzungsphase nach den Beschlüssen, in der wir als Verwaltung längerfristig im Dialog bleiben und die Beteiligten auch in den folgenden Jahren umsetzungsorientiert einbeziehen.

Dieses Modell hat für uns ein völlig neues Aufgabenfeld eröffnet, welches gleichzeitig aber auch einige neue Herausforderungen für das Verwaltungshandeln mit sich bringt. Es zeigt, dass insbesondere vorhabenbezogene Bürgerbeteiligung nicht mit dem Gemeinderatsbeschluss zur Planung endet, sondern auch in der Umsetzungsphase eine kontinuierliche Begleitung erfordert. Diese Erkenntnis ist für mich besonders wichtig.

Nóra Regös: Wir haben mehrere Handlungsempfehlungen übernommen und sind dabei, diese in der Praxis verstärkt anzuwenden. Der Hinweis auf das Prinzip „Do or Explain“ im Evaluationsbericht hat bei uns in der Praxis viel ausgelöst. In unserer Beratungsfunktion sensibilisieren wir verstärkt für eine Feedbackkultur im Sinne von „Do or Explain“ und tragen somit dazu bei, dass dieses Modell in Heidelberg institutionalisiert. Im Zuge der Evaluation wurde zudem der Bedarf an mehr personeller sowie finanzieller Ausstattung nochmal deutlicher. Auch hier haben wir mit unserem neuen Kollegen Jan Sichau, der zusammen mit Lisa Kipphan für den Bereich Kinder- und Jugendbeteiligung verantwortlich ist, einen ersten Meilenstein erreicht. Eine breitere Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, aber auch von anderen beteiligungsfernen Gruppen, steht derzeit im Fokus unserer internen Überlegungen und Diskussionen. Anlehnend an Ihre Empfehlungen bemühen wir uns, Veranstaltungen sowie die Ansprache zielgruppengerechter zu gestalten. Auch mit digitalen Formaten wollen wir zukünftig verstärkt experimentieren. Seitdem wir solche Formate vermehrt in unserer Beteiligungspraxis anwenden – beispielsweise mit aufsuchenden Formaten vor Ort in den Stadtteilen kombiniert zum Beispiel mit Tablets und interaktiven Spielen– merken wir, dass diese Ansätze gut ankommen.

Wie können andere Kommunen von der Evaluation und den Maßnahmen in Heidelberg profitieren?

Fabian Eisenbarth: Ich habe viel darüber nachgedacht, was die Evaluation bei uns ausgelöst hat und was davon auf andere Kommunen übertragbar ist. Jede Kommune hat ihre eigene Pfadabhängigkeit und ihre spezifischen Gegebenheiten, was bedeutet, dass sie unterschiedlich mit den Empfehlungen umgehen. Ich denke jedoch, dass es vor allem eine Frage der Bereitschaft und Motivation ist. Wir haben die Evaluation als Chance gesehen und jede einzelne Empfehlung darauf geprüft, was sie für uns bedeutet.

Die wichtigsten Punkte, die wir übernehmen konnten, waren vor allem praktische Themen wie die Optimierung der Vorhabenliste, die Stärkung der Beratungsstelle, das „Do or Explain“-Modell und die Förderung breiter Beteiligung. Diese Aspekte sind für viele Kommunen relevant, insbesondere für solche, die bereits Leitlinien oder institutionalisierte Beteiligungsstrukturen haben. Bei Kommunen ohne zentrale Koordination oder mit mehreren Stellen, die Beteiligung aus jeweils unterschiedlichen fachspezifischen Kontexten organisieren, könnte die Umsetzung schwieriger sein. Jede Kommune und insbesondere jede Fachstelle für Beteiligung muss daher ihren eigenen Weg finden, mit den Handlungsempfehlungen der Evaluation umzugehen. Gerade die Stärkung der Qualitätssicherung durch Evaluationen ist etwas, das viele Kommunen übernehmen könnten.

Nóra Regös: Ich sehe das ganz ähnlich. Es ist wichtig, dass sich jede Kommune im Rahmen der Evaluation ihre eigene Situation mit ihrem ganz eigenen strukturellen und institutionellen Kontext genau anschaut. Entscheidend ist dabei die Bereitschaft der Fachstellen und auch der Oberbürgermeisterin / des Oberbürgermeisters, diesen Weg gehen zu wollen. Man muss offen dafür sein, die eigene Beteiligungspraxis zu hinterfragen, zu schauen, ob alles richtig läuft oder ob es Ansatzpunkte für Verbesserungen gibt. Oft gehören dazu auch Diskussionen über Budget- und Strukturfragen. Wenn diese Bereitschaft nicht vorhanden ist, braucht man mit einer Evaluation gar nicht erst anfangen. Aber wenn man bereit ist, an sich zu arbeiten, die Ergebnisse ernst zu nehmen und die nötigen Ressourcen dafür bereitstellt, dann lohnt sich der Aufwand auf jeden Fall.

Fabian Eisenbarth: Ich glaube, dass die drei Bereiche – Struktur und Institution, Prozess sowie Relevanz – sehr unterschiedliche Ergebnisse in den Kommunen mit oder ohne Leitlinien hervorbringen. Dadurch wird klar, wo man priorisieren und ansetzen muss. Bei uns war beispielsweise die Struktur qualitativ überdurchschnittlich gut aufgestellt, sodass wir uns jetzt im Rahmen einer Experimentierphase auf den Prozess und die Beteiligungspraxis konzentrieren können und künftig die Relevanz mit Fragen zur Gemeinwohlorientierung und Wirksamkeit stärker in unseren strategischen Fokus nehmen werden.

In anderen Kommunen, die keine Leitlinien haben oder bewusst keine möchten, sieht das oft anders aus. Sie haben vielleicht einen großartigen Beteiligungsprozess, schaffen es aber nicht, eine Wirkung zu erzielen, oder es fehlt an der strukturellen Verankerung. Genau hier setzt das Indikatoren-Set an, das für uns eine ganz neue Perspektive eröffnet hat. Es hilft, gezielt mit der Verwaltungsspitze und der Politik ins Gespräch zu kommen und die Schwerpunkte zu setzen.

Natürlich gibt es auch kritische Punkte, etwa dass nicht alles über Indikatoren messbar oder bewertbar ist. Wir haben uns besonders schwergetan, Beteiligung in Kosten umzurechnen, weil wir solche Zahlen bislang nicht systematisch in unserer Fachstelle erfasst hatten.

An welchen Stellen sehen Sie Verbesserungspotenzial für das Evaluationsverfahren?

Nóra Regös: Für die Verwaltung habe ich mich gefragt, ob es sinnvoll wäre, solche grundlegenden Empfehlungen – die ja das Verwaltungshandeln perspektivisch ändern – durch eine kleine Umfrage unter den Mitarbeiter*innen zu flankieren. Es müsste kein umfassender Katalog sein, sondern nur fünf bis sieben Kernfragen, um ein Bild davon zu bekommen, wie wir intern wahrgenommen werden, auch von denen, mit denen wir keine direkten Berührungspunkte haben.

Das würde einen Abgleich ermöglichen, der für uns wichtig wäre. Bei uns wurden die Sichtweisen der Arbeitskreismitglieder erfragt. Wie sieht aber die Wahrnehmung anderer Fachämter auf die Bürgerbeteiligung aus? Wie können wir die Zusammenarbeit verbessern und optimieren? Diese Perspektive hat mir ein wenig gefehlt. Man könnte das vielleicht auch mit einer Kurzumfrage der Öffentlichkeit kombinieren. Langfristig könnte so eine kleine Kurzumfrage hilfreich sein, um diese Erkenntnislücke zu schließen.

Welche Effekte haben SIe durch die Evaluation und die daraus resultierenden Maßnahmen in der Bürgerbeteiligung Heidelberg beobachtet?

Nóra Regös: Ich finde es sehr hilfreich, dass ihr als bipar jetzt nochmal nachfragt, wie es aktuell mit unseren Handlungsempfehlungen steht. Allein diese Interviewanfrage hat uns schon dazu angeregt, nochmal darüber nachzudenken, wo stehen wir jetzt und wie sehen unsere kurz- mittel- und langfristige Ziele aus der Evaluation aus. Das zeigt, dass der Evaluationsprozess ein wichtiger und kontinuierlicher Teil unserer Arbeit ist.

Über die Handlungsempfehlungen, die wir bereits in der Praxis erfolgreich anwenden können, haben wir schon viel gesagt. Ich denke, es ist zudem auch wichtig, langfristig zu planen und groß zu denken. Selbst wenn aktuell nicht alles umsetzbar ist, heißt das nicht, dass diese Ideen verloren gehen. Man kann sie trotzdem festhalten und perspektivisch angehen, wenn die Rahmenbedingungen es irgendwann erlauben. Das halte ich für einen wichtigen Ansatz, um nachhaltig an der Weiterentwicklung zu arbeiten.

Fabian Eisenbarth: Ein wichtiger Punkt, der auch für andere Kommunen relevant ist, betrifft unsere Erfahrungen hinsichtlich des Aufwands des Evaluationsverfahrens. Dabei geht es jedoch nicht nur um das Verfahren selbst, sondern vor allem um das Einlassen auf den Prozess und die Motivation, mit der man als Team etwas ernsthaft angeht und beleuchtet.

Was dabei noch viel wesentlicher ist, betrifft die Verankerung der Evaluation, insbesondere in Bezug auf Personal und Finanzen. Es stellt sich die Frage, wie die Evaluation genutzt wird – ob sie lediglich als Informationsvorlage für den Gemeinderat dient oder als Empfehlung für die Verwaltungsspitze. Was passiert mit den Ergebnissen und den Empfehlungen, gibt es ein echtes Commitment von der Verwaltungsspitze, um diese auch umzusetzen und Wirkung zu erzielen? Ohne eine solche Unterstützung würde man sich fragen, was die Evaluation überhaupt bringt, da sie sonst ins Leere läuft.

In Heidelberg haben wir das Glück, dass wir als Fachstelle dieses Commitment haben und der trialogisch besetzte Arbeitskreis mit einem Mandat aus der Politik ausgestattet ist, die Ergebnisse der Evaluation aus Sichtweise der Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft ernsthaft zu betrachten. Das verschafft uns einen Handlungsauftrag und die Möglichkeit, die Beteiligungspraxis kontinuierlich weiterzuentwickeln. Aber es ist nicht so, dass sofort alles umgesetzt wird – wir müssen uns weiterhin an den Ergebnissen orientieren und in den nächsten Jahren immer wieder einen Blick darauf werfen.


Wenn Sie die kostenlose Evaluationsbroschüre des Berlin Instituts für Partizipation zugeschickt bekommen wollen (digital oder per Post) melden Sie sich gerne bei uns. Auch für ein unverbindliches Erstgespräch stehen wir gerne zur Verfügung. Schreiben Sie einfach eine E-Mail an: evaluationen@bipar.de oder rufen Sie uns unter 030 120826110 an.

Interviewpartner*innen:

Fabian Eisenbarth ist seit 2021 Leiter der Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung der Stadt Heidelberg. In dieser Funktion ist er verantwortlich für die Ausgestaltung der Beteiligungspraxis in Heidelberg sowie die ideenreiche Weiterentwicklung und Umsetzung der Leitlinien für mitgestaltende Bürgerbeteiligung. Zuvor gehörte er bereits mehrere Jahre zum Team der Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung. Von 2016 bis 2018 war er bei der IFOK GmbH in Bensheim tätig, wo er als Projektleiter im Bereich Mobilität sowie Energie und Infrastruktur für die kommunikative und strategische Beratung zu Beteiligungsverfahren in Planungsprozessen mit Konfliktpotenzial sowie die Durchführung und Moderation unterschiedlicher Beteiligungsformate zuständig war.
 

Nóra Regös ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung der Stadt Heidelberg. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf der Evaluation und Weiterentwicklung der Heidelberger Leitlinien sowie auf dem Ausbau der digitalen Beteiligung in Heidelberg. Zuvor war sie Projektmitarbeiterin an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer im Projekt „Wissens- und Ideentransfer für Innovation in der Verwaltung“. Zwischen 2014 und 2018 forschte und lehrte sie an der Universität Wien, Universität Heidelberg und am Science Po Nancy in den Bereichen Demokratie- und Migrationsforschung.

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