Tamy Beyeler, Projektreferentin beim Berlin Institut für Partizipation, hat das Projekt über anderthalb Jahre begleitet. Sie spricht über die partizipative Entwicklung eines Kartenspiels gemeinsam mit Jugendlichen.
Welche grundlegende Idee verfolgt das Projekt „Facts & Fantasy“?
In der digitalen Welt sind Falschinformationen, Deepfakes, Bots und Internettrolle allgegenwärtig. Oft mangelt es beim Durchscrollen an Zeit und Motivation für Faktenchecks. Die Einschätzung und Bewertung von Informationen erfordert sowohl ein hohes Maß an Medienkompetenz als auch ein Verständnis für die Mechanismen und Strukturen hinter Desinformation und Verschwörungserzählungen.
An dieser Stelle haben wir mit „Facts & Fantasy“ angesetzt und im Rahmen des Projektes ein Werkzeug für die Bildungsarbeit zum Umgang mit Desinformation und Verschwörungserzählungen entwickelt. In Zusammenarbeit mit vier Partnerkommunen (Heidelberg, Isernhagen, Marburg-Biedenkopf, Solingen) und 40 Jugendlichen im Alter von 14 bis 19 Jahren ist somit ein Kartenspiel entstanden. Dieses zielt darauf ab, junge Menschen darin zu schulen, mit Nicht-Wissen umzugehen und die Plausibilität von Informationen einzuschätzen. In diesem Rahmen wird durch das Spiel eine Gesprächsgrundlage für wiederkehrende gesellschaftsrelevante Themen sowie die Mechanismen hinter Verschwörungserzählungen und Desinformation angestoßen.
Wie genau trägt das Projekt dazu bei, junge Menschen über Verschwörungserzählungen und Fake News aufzuklären?
Das entwickelte Spiel bietet die Möglichkeit, kontroverse Themen zu besprechen und entsprechende Diskussionen aus den sozialen Medien nachzustellen. Die Nutzung ist für den Unterricht oder ähnliche pädagogische Rahmen vorgesehen, in denen Verantwortliche das Besprochene einordnen können. Das Spiel kann demnach als Teil einer Unterrichtseinheit verwendet werden und eignet sich als Einstieg in diese Themen. Die Auswahl der Themen orientiert sich einerseits an immer wiederkehrenden Verschwörungserzählungen und damit verbundenen Feindbildern gegenüber verschiedenen Gruppen, andererseits an aktuellen gesellschaftlichen Debatten, etwa zu Migration, Demokratie, Verschwörungserzählungen, Digitale Kommunikation, Diversität oder Klimawandel.
Wie verlief die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen und was war dabei besonders wichtig?
Zunächst haben wir eine Online-Umfrage gestartet, um den Kenntnisstand der Zielgruppe zu erfassen: Welche Medien nutzen sie, um Nachrichten zu konsumieren und welche halten sie für vertrauenswürdig? In dieser Phase beteiligten sich Jugendliche aus den teilnehmenden Kommunen, aber auch darüber hinaus. Die Ergebnisse dienten als Grundlage zur Festlegung der Themen für das Kartenspiel. Im nächsten Schritt war es uns wichtig, den Jugendlichen einen inhaltlichen Input zu Verschwörungserzählungen und Desinformation zu vermitteln, um auf dieser gemeinsamen Grundlage erste Spielideen zu entwickeln. Hierfür organisierten wir Workshops in den beteiligten Gemeinden und luden Expert*innen, beispielsweise von der Amadeu Antonio Stiftung, ein.
Welche Erkenntnisse konnten aus der bisherigen Arbeit am Projekt gewonnen werden?
Es zeigen sich deutliche Unterschiede in der Medienkompetenz der Jugendlichen. Insbesondere das Thema Verschwörungserzählungen ist vielen nicht vertraut und schien teilweise schwer erfassbar zu sein. Auf der organisatorischen Ebene erkannten wir schnell, dass es am effektivsten ist, Jugendliche durch bereits bestehende Strukturen einzubinden. Daher haben wir eng mit kommunalen Verwaltungen zusammengearbeitet, die wiederum in Kontakt mit regionalen Einrichtungen stehen. In Marburg führten wir das Projekt in Zusammenarbeit mit dem Jugendparlament durch, in Heidelberg und Solingen mit einem Jugendzentrum und in Hannover-Isernhagen mit einem Verein sowie einer Schule.
Welche Möglichkeiten ergeben sich aus einer solchen Projektkonzeption? Ist diese Art der Kooperation mit jungen Menschen auch auf andere Projekte übertragbar?
Sicher ist die Projektkonzeption auch auf andere Themen und Projekte übertragbar. Aus unserer Erfahrung kann die Zusammenarbeit mit Jugendlichen vor allem gelingen, wenn feste Projektpartner eingebunden werden, die über direkte Kommunikationswege zu Multiplikator*innen, wie Lehrpersonen oder Pädagog*innen verfügen. Zusätzlich ist eine niederschwellige Einbindung Jugendlicher mithilfe von Online-Umfragen oder Abstimmungen möglich, die in den Sozialen Medien geteilt werden.
An welchem Punkt steht das Projekt im Moment und welche Schritte werden in den kommenden Monaten folgen?
Der Projektzeitraum beläuft sich auf insgesamt 19 Monate. Aktuell stehen wir kurz vor dem Abschluss. Die Spielkarten und Anleitung sowie ein Animationsvideo dazu werden gestaltet und wir bearbeiten letzte Feinheiten des Spiels. Anhand mehrerer Workshops haben die teilnehmenden Jugendlichen 2023 vier Spielkonzepte entwickelt. Nach einer Phase der Online-Abstimmung wurde eines dieser Konzepte zur Weiterentwicklung ausgewählt. In der anschließenden Testphase wurde das Spielkonzept weiter verfeinert. Dafür haben wir die beteiligten Kommunen besucht und das Spiel mit den Jugendlichen getestet und Feedback eingeholt. Im Mai 2024 gab es eine öffentliche Testphase für Schulklassen, Vereine und andere Interessierte in Berlin. Mehr als 60 Schüler*innen waren vor Ort, um den Prototyp zu spielen.
Parallel erstellen wir eine Unterrichts- bzw. Lerneinheit, die Pädagog*innen dabei unterstützt, die Themen rund um Desinformation und Verschwörungserzählungen in einen Kontext zu setzen. Im Sommer wird das Spiel produziert und an Schulen und Bildungseinrichtungen verteilt. Interessierte können sich für eine Benachrichtigung nach Fertigstellung des Spiels auf der Projektwebseite eintragen: facts-and-fantasy.de