Aus Erfahrung lernen

Wie Evaluation von Bürgerbeteiligung Qualität fördert – über die eigene Kommune hinaus. Ein Gespräch mit Raphael Seifen, Evaluationsexperte beim Berlin Institut für Partizipation.

Herr Seifen, Sie sind beim Berlin Institut für Partizipation für die Evaluation von Bürgerbeteiligung zuständig. Wie läuft so eine Evaluation normalerweise ab?

Wir betrachten die Bürgerbeteiligung in der zu evaluierenden Kommune aus drei Blickwinkeln: Institution, Prozesse und Relevanz. Zu jedem der drei Blickwinkel gibt es sieben Leitfragen mit jeweils vier Indikatoren. Die Umsetzung dieser 84 Indikatoren prüfen wir in unserem Evaluationsverfahren. Je nachdem, wie gut die Kommune die Indikatoren erfüllt, vergeben wir bis zu drei Punkten pro Indikator. So entsteht am Ende eine Gesamtpunktzahl von bis zu 252 Punkten. Durch die Bepunktung können wir zum einen schnell erkennen, in welchem der Blickwinkel der größte Optimierungsbedarf besteht und zum anderen entsteht eine gewisse Vergleichbarkeit zwischen den Kommunen.

Konkret beginnt unser Evaluationsverfahren mit einem mehrstündigen Interview mit den Verantwortlichen für Bürgerbeteiligung in der jeweiligen Kommune. In diesem Interview gehen wir alle 84 Indikatoren einzeln durch. Die jeweiligen Antworten überprüfen wir im Nachgang anhand von internen und öffentlichen Dokumenten. Zusätzlich sprechen wir in weiteren Interviews mit Personen aus anderen Fachämtern, die ebenfalls beteiligen sowie mit Lokalpolitiker*innen und, wenn möglich, mit Bürger*innen.

Durch die verschiedenen Perspektiven und die Prüfung der Dokumente entsteht ein ganzheitliches Bild, dass es uns ermöglicht, letztlich jeden Indikator zu beantworten und zu bepunkten.

Welche Kommunen haben Sie in jüngster Zeit evaluiert? Sind die alle ähnlich aufgestellt?

Das waren schon einige. Ich persönlich habe an der Evaluation von Heidelberg, Erfurt, Berlin, Wuppertal und Unterschleißheim sowie dem Landkreis Marburg-Biedenkopf mitgewirkt. Diese Kommunen waren unterschiedlich groß und hatten ganz unterschiedliche Beteiligungskulturen. Und tatsächlich auch ganz unterschiedliche Bereiche, in denen sie besondere Stärken hatten – und in denen es Verbesserungspotential gab.

Mit ihrem Evaluationsverfahren wollen Sie Vergleichbarkeit zwischen den Kommunen herstellen. Ist dies überhaupt möglich? Lässt sich der Landkreis Marburg-Biedenkopf mit einer Millionenstadt wie Berlin vergleichen? Und eine Stadt mit 28.000 Einwohner*innen wie Unterschleißheim mit Wuppertal mit seinen fast 359.000 Einwohner*innen?

Natürlich gibt es unterschiedliche Herausforderungen und Lösungsansätze in jeder Kommune. Die Verantwortlichen im Landkreis Marburg-Biedenkopf müssen andere Themen bearbeiten und mit den Verwaltungseinheiten und Bürgermeistern kleinerer Ortschaften zusammenarbeiten, während in Berlin die Themen in den Bezirken oft ähnlich sind. Die zentralen Herausforderungen und Fragen bleiben aber dieselben: Arbeitet die Verwaltung ressortübergreifend gut zusammen, gibt es genug Geld für die Beteiligung, welche Menschen werden beteiligt? Erreichen wir auch sonst eher beteiligungsferne Gruppen? Wie finden wir die Themen der Beteiligung? Wie werden die Verfahren selber durchgeführt und wie wird im Nachgang mit den Beteiligungsergebnissen umgegangen?

Hierbei gibt es oft keinen klaren, „idealtypischen” Weg. Es gibt aber ein angestrebtes Ziel: die bestmögliche Beteiligung zu realisieren. Wir gucken uns an, wie die jeweilige Kommune dieses Ziel angeht. Was in Berlin funktioniert, kann in Marburg-Biedenkopf der völlig falsche Ansatz sein. Die Stärke des Verfahrens ist, dass der individuelle Lösungsweg und die Arbeitsweise der Fachämter im Feld der Beteiligung untersucht werden. Wichtig ist nicht, auf welche Weise bestimmte Gruppen angesprochen werden, sondern, ob sie durch die Kommune erreicht und in die Prozesse gebracht werden.

In der Evaluation prüfen wir nicht, ob eine Kommune etwas genau nach einem von uns erwarteten Schema abwickelt. Stattdessen finden wir heraus, wie individuell vor Ort ein konkretes Ziel erreicht wird. Und je nachdem, wie erfolgreich das Vorgehen ist, wird entsprechend bepunktet.

Gibt es Erkenntnisse, die über die einzelnen Evaluationen hinaus gehen? Welche Erkenntnisse, welche Empfehlungen wiederholen sich?

Legt man die Evaluationsberichte vergleichend nebeneinander, fällt auf, dass es durchaus Empfehlungen gibt, die in fast allen der Berichte gegeben wurden: Dazu gehört die Verbesserung der Dokumentation der Beteiligungsverfahren, die Erhöhung der Bemühungen bisher wenig erreichte Gruppen zu erreichen, die Einführung einer standardisierten Stakeholder-Analyse sowie zusätzliche Maßnahmen zur Sicherung des Gemeinwohls in Beteiligungsverfahren. Da all dies mit einem Mehraufwand für die Fachstelle einhergeht, ist auch die Aufstockung der finanziellen und personellen Ressourcen oftmals Teil der Empfehlungen.

Einige der evaluierten Kommunen verfügten zudem über einen Beteiligungsrat oder ein ähnliches Gremium, in dem Politik, Verwaltung und Bürgerschaft, in unterschiedlicher Zusammensetzung, die Bürgerbeteiligung der Kommune langfristig begleiten. Auch hier sind die Probleme und Herausforderungen oftmals die gleichen: Für die Mitglieder aus der Bürgerschaft liegen die Erwartungen an die Möglichkeiten der Mitwirkung und die Realität oft weit auseinander. Auf Seiten der Verwaltung und der Politik gibt es zum Teil kein Interesse an den Beiräten und in manchen Fällen passt das Aufgabenspektrum des Beirats nicht zur Zusammensetzung und der Arbeitsweise. Fast immer können wir Empfehlungen zur Verbesserung der Praxis in solchen Beiräten geben.

Was hat Sie persönlich bei den Evaluationen am meisten beeindruckt? Gibt es Highlights?

Was mich jedes Mal wieder positiv beeindruckt, ist die Überzeugung und Kreativität, mit der die verantwortlichen Personen in den Kommunen ihrer Arbeit nachgehen. Jede Evaluation ist einzigartig und jede Evaluation zeigt neue Wege auf, mit Problemen und Herausforderungen umzugehen.

Viele der Kommunen könnten sehr viel voneinander lernen und Konzepte anderer Kommunen, an die kommunalen Besonderheiten angepasst, übernehmen. Gleichzeitig hat jede der Kommunen eigene Stärken, von denen wiederum andere Kommunen etwas lernen könnten. Oft sind die Verantwortlichen vor Ort sich gar nicht dessen bewusst, dass sie in einem bestimmten Bereich einzigartig sind oder haben auf der anderen Seite über bestimmte Themen nie nachgedacht. Diese „Aha-Momente“ sind jedes Mal schön mitzuerleben.


Wenn Sie die kostenlose Evaluationsbroschüre des Berlin Instituts für Partizipation zugeschickt bekommen wollen (digital oder per Post) melden Sie sich gerne bei uns. Auch für ein unverbindliches Erstgespräch stehen wir gerne zur Verfügung. Schreiben Sie einfach eine E-Mail an: evaluationen@bipar.de oder rufen Sie uns unter 030 120826110 an.

Raphael Seifen ist seit 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berlin Institut für Partizipation. Als Verantwortlicher für den Themenbereich Evaluation hat er die Bürgerbeteiligung in mehreren Städten und Landkreisen evaluiert und konkrete Empfehlungen für die Weiterentwicklung der partizipativen Kultur vor Ort entwickelt. Zuvor hat er in Hannover (B. A. Politikwissenschaft) und Bremen (M. A. Politikwissenschaft) studiert.

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