Interview: Betriebliche Partizipation

Mehr Mitsprache wagen

Rettet Beteiligung am Arbeitsplatz die Demokratie? Beate Rohrig über die Vorteile von mehr Mitsprache in Unternehmen, die Rolle von Betriebsräten und die Bedeutung von Selbstwirksamkeit.

Beate Rohrig ist Leiterin des Kooperationsprojektes „Partizipation in der Arbeitswelt“, in dessen Rahmen die IGBCE gemeinsam mit dem Berlin Institut für Partizipation neue Möglichkeiten und Formen der Mitarbeiterbeteiligung entwickelt und erprobt.

Frau Rohrig, Sie sind auf Seiten der IGBCE für das Projekt „Partizipation in der Arbeitswelt“ (PIDA) verantwortlich. Was meinen Sie überhaupt, wenn Sie von Partizipation in der Arbeitswelt sprechen? 

Partizipation in der Arbeitswelt umfasst verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten für Beschäftigte in Unternehmen, die über die institutionelle Mitbestimmung durch Betriebsräte hinausgehen. Während Betriebsräte eine wichtige Rolle spielen, strebt Partizipation in der Arbeitswelt vor allem eine direkte Beteiligung und Selbstwirksamkeit der Beschäftigten an.

Unternehmen sind oft hierarchisch strukturiert, was zunächst einen Widerspruch zur Partizipation darstellen könnte, da Demokratie in solchen Systemen nicht vorrangig vorgesehen ist. Dennoch erkennen kluge Unternehmen die Vorteile einer stärkeren Einbeziehung ihrer Mitarbeiter*innen. Partizipation bedeutet konkret, dass Arbeitnehmer*innen aktiv an der Gestaltung ihrer Arbeitsumgebung und der Unternehmenspolitik beteiligt sind. Es geht darum, eine Kultur der Offenheit, Transparenz und Mitbestimmung zu fördern, in der Mitarbeiter*innen nicht nur Anweisungen erhalten, sondern aktiv an Entscheidungen teilhaben können. Unser Projekt „Partizipation in der Arbeitswelt“ zielt darauf ab, diese Partizipationsmöglichkeiten zu fördern und zu erweitern, um sicherzustellen, dass die Interessen und Bedürfnisse der Arbeitnehmer*innen angemessen berücksichtigt werden.

Was machen Sie aktuell im PIDA Projekt und was sind die nächsten Schritte?

Die Zukunft der Gewerkschaftsbewegung wird davongetragen, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und sich den Herausforderungen der sich wandelnden Arbeitswelt anzupassen. Die Ermöglichung von Selbstwirksamkeitserfahrungen für unsere Mitglieder und Beschäftigte in den Unternehmen nimmt hier eine Schlüsselposition ein. Das Projekt leitet hierzu wichtige Beiträge in verschiedenen Bereichen.

Unser Anspruch ist es, die Transformation in den Betrieben aktiv zu gestalten. Dabei geht es um grundlegende Veränderungen der Wirtschaft durch Digitalisierung, ökologischen Wandel und neue Anforderungen an die Kenntnisse der Beschäftigten. Unser Ziel ist es, diese Transformation aktiv mitzugestalten, um sicherzustellen, dass sie im Einklang mit den Interessen der Beschäftigten und den Prinzipien guter Arbeit erfolgt. Das Projekt strebt an, dass die Beschäftigten eine aktive Rolle bei der Gestaltung der Transformationsprozesse einnehmen. Um diese Ziele zu erreichen, entwickeln wir zurzeit eine spezifische Methodendatenbank für den betrieblichen Kontext, die praxisorientierte Instrumente und Ansätze für die Gestaltung von Veränderungsprozessen bietet.

Laut der PIDA Studie 2024 ist eine große Mehrheit der Befragten positiv gegenüber Partizipation im Unternehmen eingestellt und wünscht sich für die Zukunft eine stärkere Einbeziehung in Entscheidungsprozesse. Allerdings finden bei den wenigsten Befragten tatsächlich Beteiligungsangebote am Arbeitsplatz statt. Wie erklären Sie diese Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit?

Die Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Partizipation und ihrer tatsächlichen Umsetzung in Unternehmen ist vielschichtig. Zum einen könnten einige Unternehmen noch nicht erkannt haben, wie wertvoll es ist, ihre Mitarbeiter*innen aktiv einzubeziehen und ihnen Mitbestimmungsmöglichkeiten zu bieten. Gerade stark hierarchische Unternehmensstrukturen können hinderlich sein. Um diese Hindernisse zu überwinden und Partizipation zu fördern, ist es entscheidend, dass Unternehmen und Arbeitnehmervertreter*innen gemeinsam daran arbeiten.

Hierbei ist eine offene Kommunikation und die Entwicklung einer gemeinsamen Vision für eine partizipative Arbeitskultur unerlässlich. Unternehmen sollten erkennen, dass die Einbeziehung der Beschäftigten in Entscheidungsprozesse langfristige Vorteile mit sich bringt, wie eine höhere Mitarbeiterbindung und bessere Ergebnisse. Betriebsräte wiederum sollten ihre Rolle als Vertretung der Beschäftigten wahrnehmen und sich für deren Interessen einsetzen, auch wenn dies mit zusätzlichem Aufwand verbunden ist. Dies erfordert eine kontinuierliche Zusammenarbeit und eine Kultur des respektvollen Dialogs zwischen Arbeitgeber*innen, Betriebsräten und Beschäftigten.

Welche internen Strukturen im Unternehmen unterstützen die Partizipation am Arbeitsplatz und welche Bedeutung haben dabei die Betriebsräte?

Betriebsräte spielen eine unverzichtbare Rolle, da sie die Mitbestimmung der Arbeitnehmer*innen in den Unternehmen gewährleisten. Ihre Existenz ist essenziell, um sicherzustellen, dass die Interessen der Beschäftigten angemessen berücksichtigt werden. In diesem Kontext ist es von entscheidender Bedeutung, dass Unternehmen und Betriebsräte gemeinsam an Lösungen arbeiten. Gerade die Herausforderungen der Transformation bieten hier Ansatzpunkte.

Jedes Unternehmen sollte daher gewählte Betriebsräte haben, um eine effektive Interessenvertretung und Mitbestimmung zu gewährleisten. Diese Betriebsräte haben spezifische Mitbestimmungsrechte, die durch andere Partizipationsstrukturen nicht ersetzt werden können. Daher ist es wichtig, dass Partizipationsstrukturen und die Mitbestimmungsorgane zusammenarbeiten und sich nicht behindern oder gar verhindern.

Eine gute Implementierung von Mitbestimmungsstrukturen schafft eine solide Grundlage für eine partizipative Arbeitskultur, die die Motivation und das Engagement der Mitarbeiter*innen fördert. Betriebsräte sind oft die Initiator*innen von betrieblichen Beteiligungsprozessen. Wenn Mitarbeiter*innen das Gefühl haben, dass ihre Stimme gehört wird und sie aktiv an Entscheidungsprozessen beteiligt sind, steigert dies oft die Zufriedenheit und Produktivität am Arbeitsplatz.

Aus der Studie geht hervor, dass viele Gewerkschaftsfunktionäre selbst gerne Beteiligungsverfahren organisieren würden. Wie könnte dieses Potenzial in Zukunft besser genutzt werden?

Gewerkschaften könnten Schulungen und Weiterbildungsprogramme anbieten, um die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse im Bereich der Partizipation zu vermitteln. Dabei können Ideen und Erfahrungen ausgetauscht werden, um gemeinsam innovative Beteiligungsformate zu entwickeln.

Betriebliche Vertrauensleute können eine wichtige Rolle als Treiber für betriebliche Partizipationsprozesse spielen. Durch ihr Engagement und ihre Kenntnisse über die Bedürfnisse der Arbeitnehmer*innen können sie dazu beitragen, Partizipationsstrukturen im Unternehmen zu etablieren und zu verbessern. Ein gutes Zusammenspiel zwischen Betriebsrat und betrieblichen Vertrauensleuten eröffnet einen Raum zur Gestaltung guter Arbeit in den Unternehmen. Durch eine enge Zusammenarbeit können sie gemeinsam Partizipationsprozesse initiieren, Ideen entwickeln und die Interessen der Arbeitnehmer*innen effektiv vertreten.

Zum Schluss: Wie schätzen Sie den Einfluss von mehr Partizipation in der Arbeitswelt auf unsere Demokratie generell ein? 

Die zunehmende Partizipation in der Arbeitswelt kann einen bedeutenden Einfluss auf unsere Demokratie insgesamt haben. Selbstwirksamkeit, das Gefühl, aktiv Einfluss nehmen zu können, ist ein Schlüssel zu demokratischen Einstellungen. Da der Arbeitsplatz für die meisten Menschen eine prägende Umgebung darstellt und sie dort einen Großteil ihres Tages verbringen, liegt hier eine einzigartige Chance. Menschen, die Beteiligungsstrukturen in ihrem Arbeitsumfeld wahrnehmen und aktive Gestaltungsmöglichkeiten haben, entwickeln tendenziell eine positivere Einschätzung zu demokratischen Prozessen insgesamt. Wenn Mitarbeiter*innen in ihren Unternehmen eine Stimme haben und ihre Meinungen und Ideen gehört werden, steigt ihr Vertrauen in die Demokratie als Ganzes. Somit kann mehr Partizipation am Arbeitsplatz dazu beitragen, das demokratische Bewusstsein zu stärken und die Bürger*innen zu ermächtigen, aktiv am demokratischen Prozess teilzunehmen.

Insgesamt kann eine verstärkte Partizipation am Arbeitsplatz nicht nur das demokratische Bewusstsein stärken, sondern auch die Demokratie insgesamt positiv beeinflussen, indem sie Selbstwirksamkeit fördert und das Vertrauen in demokratische Prozesse stärkt.

Zur Person

Beate Rohrig ist Leiterin des Kooperationsprojektes „Partizipation in der Arbeitswelt“, in dessen Rahmen die IGBCE gemeinsam mit dem Berlin Institut für Partizipation neue Möglichkeiten und Formen der Mitarbeiterbeteiligung entwickelt und erprobt.