Interview: Forum gegen Fakes

Ein innovatives Beteiligungsprojekt 

Wie können verschiedene Beteiligungsformate kombiniert werden, um partizipative Möglichkeiten zu stärken und Zugänge zu erleichtern? Das Forum gegen Fakes zeigt einen Weg auf.

Das Forum gegen Fakes ist ein Beteiligungsprojekt der Bertelsmann Stiftung, das die Möglichkeiten von online Partizipation und Bürgerrat auf neuartige Weise verknüpft und so die Vorteile der verschiedenen Formate verbinden möchte. Dominik Hierlemann, berichtet von der Konzeption und Zielsetzung des Projektes.  

Im Rahmen Ihres neuen Projekts hat die Bertelsmann Stiftung ein innovatives Bürgerbeteiligungsformat gestartet. Was ist das sogenannte „Forum gegen Fakes“? 

Das „Forum gegen Fakes“ ist ein deutschlandweites Beteiligungsprojekt zum Thema Desinformation. In diesem Beteiligungsprojekt kombinieren wir eine breite Onlinekonsultation mit einem Bürgerrat. Wir haben also ein neues Verfahren entwickelt, testen dieses und wollen die Vorteile verschiedener Beteiligungsformen intelligent kombinieren. Desinformation ist ein sehr aktuelles Thema, das vor zwei, drei Jahren noch äußerst abstrakt erschien. Und selbst als wir vor einem Jahr das Projekt planten, haben wir oft gehört, „ist das denn ein gutes Thema, um es mit Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren?“ Inzwischen ist das aber bei allen angekommen. Bürger sind selbst jeden Tag damit konfrontiert: „Kann ich jetzt dem Inhalt, den ich hier auf der Website sehe oder den ich auf irgendeinem Newsportal lese, trauen oder muss ich da nochmal nachrecherchieren?“ Und das Ganze wird natürlich multipliziert, potenziert, durch neue Technologien, durch die Möglichkeiten generativer künstlicher Intelligenz, sodass eben Bilder, Videos, Gesprochenes, schnell gefaket werden können. Als Gesellschaft müssen wir damit einen Umgang finden, ansonsten wird das rasch eine Gefahr für die Demokratie. Das Vertrauen in politische Institutionen sowie ein gutes Miteinander werden untergraben, deshalb wollen wir als Stiftung unseren Beitrag leisten. 

Wie wirken das Online-Forum und der Bürgerrat genau zusammen?  

Wir haben ein Reißverschlussverfahren entwickelt. Es gibt also den Bürgerrat mit unterschiedlichen Phasen. Dieser besteht aus 120 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern aus Deutschland, die aus verschiedenen Regionen kommen, einen unterschiedlichen Bildungshintergrund haben, und natürlich auch die Diversität im Alter repräsentieren. Dieser Bürgerrat trifft sich online und in Präsenz und entscheidet am Ende über die Ergebnisse.  Aber er startet nicht mit einem leeren Blatt Papier, sondern mit Vorschlägen, die online gemacht werden konnten. Wir haben mehr als 1.600 Vorschläge eingereicht bekommen, mehr als 198.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die mitgemacht haben. Das hat zu knapp 900 000 Abstimmungen geführt. Es war also schon eine Menge los. Wir haben am Anfang eine sehr offene Frage gestellt: „Wie sollen wir als Gesellschaft mit Fakes und Meinungsmanipulation umgehen?“ Dann haben Bürgerinnen und Bürger Vorschläge eingereicht, die wir für den Start der Diskussion des Bürgerrats ausgewertet haben. Sobald der Bürgerrat erste Ideen entwickelt hat, gehen diese Ideen wieder in die Online-Community. Und die Online-Community gibt dann wiederum Feedback an den Bürgerrat. So geht das hin und her. Der Bürgerrat erarbeitet anschließend die Ergebnisse und schreibt einen Vorschlagskatalog, also die politischen Empfehlungen des Bürgerrats. Abschließend findet ein weiteres Voting statt, bei dem die Online-Community sagen kann, wo sie ihre Prioritäten bei den finalen Empfehlungen sieht. Die Kernidee ist, dass alle, die Interesse am Thema haben, mitmachen können und sollen. Deshalb die Online-Beteiligung. Aber wir wollen auch aufpassen, dass das nicht von bestimmten Gruppen gekapert wird, sondern dass am Ende eben der Bürgerrat für die Ergebnisse verantwortlich ist. 

Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um zu verhindern, dass in diesem Forum selbst Falschinformationen gepostet werden, von Personen, die nicht das Beste der Demokratie im Sinn haben?   

Es gibt eine Moderationscharta, die online zugänglich ist. Beiträge dürfen nicht parteiisch sein, sie müssen klar, konkret und möglichst faktenbasiert sein. Es gibt eine ganze Reihe von Kriterien und der Dienstleister make.org achtet darauf, dass alles, was gepostet wird, auch diesen Moderationskriterien entspricht. Alle eingereichten Vorschläge werden geprüft und es werden nur begründet Beiträge abgelehnt. Was am Ende den Weg nicht auf die Plattform findet, das wird begründet und den Menschen mitgeteilt. Diskriminierendes und Beleidigendes wollen wir nicht sehen. Aber auch Ideen, die völlig unscharf und unklar formuliert sind, können nicht übernommen werden. Deshalb werden diese Dinge erst mal heruntergenommen und die Vorschlaggeber*innen darum gebeten, zu konkretisieren oder anzupassen, damit es veröffentlicht werden kann.  Natürlich gibt es auch ein paar technologische Vorkehrungen, damit es nicht zu unlauteren Eingriffen kommt. Dennoch: Es können und sollen selbstverständlich auch Menschen mitmachen, die der Demokratie skeptisch gegenüberstehen. Das ist ein offener Beteiligungsprozess. Wir sehen ganz stark, dass zum Beispiel die Meinungen bei der Finanzierung des öffentlichen Rundfunks auseinandergehen. Sehr viele Menschen fordern, dass wir einen noch stärkeren öffentlichen Rundfunk brauchen und andere würden ihn am liebsten abschaffen. Beide Vorschläge finden sich auf der Plattform. Es ist schon so, dass die Gruppe der Menschen in der Mehrheit ist, die einen hohen Qualitätsjournalismus fordern und auch einen starken öffentlichen Rundfunk. Aber es werden selbstverständlich alle Positionen dargestellt. Das ist wichtig, nur so kann glaubwürdige Bürgerbeteiligung gelingen. Das ist das Kernanliegen auch dieses Beteiligungsprozesses, dass sich Menschen beteiligen sollen, so wie in allen Beteiligungsprozessen, die unsicher sind, die skeptisch sind, die völlig andere Meinungen haben. Und solange sie sich an die Diskussionsregeln halten, ist das völlig in Ordnung. 

Es wird sicherlich vorkommen, dass Menschen ähnliche Vorschläge haben. Werden diese zusammengefasst oder öfter präsentiert – wie funktioniert das?  

Es wird versucht, dass die Vorschläge alle gleich oft präsentiert werden. Und die Vorschläge selbst werden nicht in der ersten Phase zusammengefasst, aber dann in der Auswertung, sodass man dann nachvollziehen kann, dass es viele Vorschläge gab, die in die gleiche Richtung gehen. Die haben dann auch mehr Stimmen im Voting erhalten. 

Glauben Sie, dass dieses Format, also diese Kombination aus Online-Umfrage und Bürgerrat, eine breite gesellschaftliche Debatte anstoßen kann? 

Wir hatten knapp 900.000 Abstimmungen. Das sind mehr als 198.000 Menschen, die mitgemacht haben. Man kann zwar mehrmals abstimmen, aber die Anzahl der Klicks ist ein Riesenwert, den wir so vielleicht erhofft, aber in der Kürze der Zeit nicht erwartet hatten. Die Online-Konsultation lief ja nur wenige Wochen. Wir halten es generell für wichtig, dass wir eine größere Öffentlichkeit für die Beteiligungsverfahren herstellen können. Unsere Erfahrung ist, dass es allzu einfach für die Politik ist, Ergebnisse in die Schublade zu stecken, wenn es keine Öffentlichkeit für die Beteiligungsverfahren gibt, wenn kein politischer Druck aus diesen Beteiligungsverfahren entsteht. Ich selbst bin ein großer Befürworter der Bürgerräte und finde es sehr gut, dass der Bundestag diese jetzt durchführt. Aber wichtig ist, dass das nicht in einem kleinen Expertenkreis bekannt ist, was da diskutiert wird, sondern, dass auch Menschen, die Interesse an den Themen haben, die Möglichkeit haben, sich daran zu beteiligen. Eine Schwierigkeit der Bürgerräte ist eben, dass sie eher geschlossen sind. Wir brauchen zusätzlich offene Beteiligungsformen – und da wollen wir hier ein Angebot machen, bei dem wir beides kombinieren. Wir versuchen eine größere Öffentlichkeit herzustellen, mehr Menschen zu beteiligen und mehr Resonanz fürs Thema als Ganzes zu bekommen. Und natürlich achten wir weiter darauf, dass qualitativ hochwertige Ergebnisse präsentiert werden, indem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Zeit haben zu reflektieren, Expertinnen und Experten zu hören, sich auszutauschen, sodass Qualitätsstandards von guter Beteiligung aufrechterhalten werden. Diese Balance, die müssen wir finden. Dabei brauchen wir auch als Beteiligungscommunity weiterhin eine große Offenheit, damit wir uns nicht nur auf ein Verfahren kaprizieren. Wir sind davon überzeugt, dass wir die Diskurse der Beteiligungsverfahren noch besser mit dem öffentlichen Diskurs zu einem Thema verbinden müssen. Da haben haben wir noch eine Wegstrecke zu gehen. 

Wie könnte man dieses Projekt und diese innovative Kombination verstetigen?

Natürlich evaluieren wir unser Projekt. Zudem haben wir einen Projektbeirat, in dem Desinformationsexperten sitzen, die am Projekt beteiligten Institutionen sowie Partizipationsexperten. Verstetigt werden soll nicht das Forum gegen Fakes selbst, aber die Kombination von Bürgerrat und Onlinekonsultation. Ob wir da jetzt schon das Gelbe vom Ei gefunden haben oder nicht, wird sich herausstellen. Das ist ein Projekt, das ich weltweit noch nicht gesehen habe in dieser Kombination, mit der Laufzeit und mit den politischen Partnern. Das Ziel ist für uns ganz klar, dem Bürgerrat mehr Gewicht zu verleihen, indem er mehr Öffentlichkeit erhält. Es braucht offene Beteiligungsmöglichkeiten und es braucht eine breitere Debatte. Da ist unser Verfahren interessant.  

Zur Person

Dr. Dominik Hierlemann, ist Senior Advisor im Bereich Demokratie und Zusammenhalt bei der Bertelsmann Stiftung. Er verantwortet den Schwerpunkt Bürgerbeteiligung und Desinformation und ist in diesem Zusammenhang am Projekt „Forum gegen Fakes“ beteiligt. Er studierte Politik- und Verwaltungswissenschaft und promovierte zum Thema „Lobbying der katholischen Kirche in Polen“.