Zukünfte brauchen Partizipation

Xtopien als Werkzeug der Zukunftsgestaltung

Partizipation bei der Visionssuche ist ein Schlüssel zur nachhaltigeren Zukunft. Die Toolbox für Xtopien will die Vorstellungskraft und die Beteiligungskompetenzen der Menschen stärken. Im Gastbeitrag beschreibt die Autorin, wie Xtopien zur kreativen und demokratischen Gestaltung der Zukunft beitragen können.

Es ist fraglich, ob das Nachdenken und Verhandeln über mögliche Zukünfte in unserer Gesellschaft ausreichend demokratisiert ist. Es gibt diverse gute Beispiele für partizipative und kollaborative Zukunftsdialoge, Leitbildprozesse, Zukunftskonferenzen und ähnliche Verfahren. Dennoch werden Zukunftsdiskurse oft von „Expert*innen“ dominiert. Gleichzeitig haben viele Menschen keine konkreten Vorstellungen über wünschenswerte zukünftige Gemeinwesen. Für eine nachhaltige Gesellschaft ist eine breite demokratische Partizipation jedoch entscheidend. Wie können Menschen also befähigt werden, zur Entwicklung von neuen Zukunftsvisionen beizutragen?  

 Xtopien für eine demokratisierte Zukunftsgestaltung 

Um die Vorstellungskraft und Kreativität der Menschen in Bezug auf zukünftige Lebensweisen zu fördern, habe ich mit Kolleg*innen die Xtopie entwickelt. Eine Xtopie ist eine Intervention, die Menschen zum Nachdenken über Zukünfte einlädt und sie dabei unterstützt, neue eigene Visionen zu entwickeln und auch kritisch zu reflektieren. Das „X“ steht für die Verbindung von utopischen und dystopischen Aspekten. Dadurch entstehen vielfältige Diskussionsmöglichkeiten. Die Xtopie hat einen thematischen Fokus und nutzt verschiedene Methoden, um das Nachdenken darüber zu erleichtern. Diese Methoden können interaktive Ansätze wie Objekte, künstlerische Performances, Gedankenexperimente oder prozesshafte Formate aus dem Bereich der Erwachsenenbildung sein. Ziel einer Xtopie ist es, die Vorstellungskraft, die Offenheit für verschiedene Perspektiven und das systemische Denken, sowie die sozialen und emotionalen Skills zu fördern 

Erkenntnisse aus vier Jahren transformativer Zukunftsforschung 

In unserem Forschungsprojekt „Urbane Xtopien – Freiräume der Zukunft“, das von der Robert Bosch Stiftung gefördert wurde, haben wir mehrere Xtopien entwickelt und getestet. Beteiligt waren verschiedene Universitäten und Fachinstitute. Unser thematischer Schwerpunkt lag auf den zukünftigen Mensch-Natur-Beziehungen, der Zukunft der Arbeit und der Zukunft des Todes. Während des Forschungsprozesses haben wir festgestellt, dass der spielerische und exemplarische Ansatz der Xtopien die Hinwendung zu grundlegenden Fragen erleichtert. In der Arbeit mit unterschiedlichsten Menschen und Gruppen hat sich auch gezeigt, dass es sehr schwer ist, frei und spekulativ zu denken – insbesondere, wenn die Zielgruppe nicht sehr eng definiert ist. Deshalb haben wir zum Abschluss des Projekts die „Toolbox für Xtopien“ erstellt.  

 Die Toolbox für Xtopien  

Die Toolbox für Xtopien ist ein Werkzeug für alle, die Menschen zum interaktiven und kritischen Nachdenken über Zukünfte anregen möchten. Sie besteht aus einer Einführung ins „xtopische Denken“ und einigen Beispielen für Xtopien. Mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung und Checklisten ermutigt sie Zukunftsgestalter*innen außerdem, eigene Xtopien zu entwickeln. Darüber hinaus enthält die Toolbox acht neue Tools, die in Gruppenprozessen genutzt werden können. Die Tools richten sich an Facilitator*innen, Bildungsakteure, Kulturschaffende und Aktivist*innen, können aber auch privat genutzt werden.  

Zwei Spiele, die das Einnehmen der Sichtweisen nicht-menschlicher Lebewesen fördern (PerspekTIERwechsel und Cohabitat) und Tools zum Visionieren von Räumen (Spielraum Xperiment und Gedankenreise) sind für innovative Beteiligungsprozesse besonders interessant. Insgesamt verstehen sich die Tools als freie Inspirationsquelle und können an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden. Die Toolbox kann bei xtopien.org heruntergeladen werden. 

Auch wissenschaftlich soll der Ansatz der Xtopie weiterentwickelt werden. Zum Beispiel im Projekt „Xtopien digitaler urbaner Zukünfte“ an der Fachhochschule Potsdam, das im April 2024 startete.  


Dr. Jasmin Jossin ist Nachhaltigkeitswissenschaftlerin an der Fachhochschule Potsdam. Im Anschluss an ihre Promotion in der Umweltpsychologie und weiterer Forschung an der Schnittstelle zwischen Gesundheitswissenschaften und Stadtökologie hat sie u.a. am Deutschen Institut für Urbanistik zur kommunalen Nachhaltigkeit in einer querschnittlichen und integrativen Perspektive geforscht und Kommunen beraten. In den letzten Jahren hat sie sich wissenschaftlich vermehrt mit Zukunftsvisionen befasst und experimentiert damit, den Ansatz des transformativen Lernens in Institutionen und in die urbane Praxis zu tragen.